ARTSPRING LESUNGEN

Die Lesungen, kuratiert von Uta Ackermann, sind seit drei Jahren fester Bestandteil von artspring. Diesmal gibt es an vier Abenden zehn Premieren: neun Autorinnen des WOW & FANCE Conscious Writing Labs lesen aus ihren Romanprojekten, Philippe Despeysses liest Gedichte auf Französisch, Deutsch und Portugiesisch.

17 Uhr
Kapelle an der Prenzlauer Allee
Prenzlauer Allee 75

Saskia Nitsche

Licht der weißen Sterne

Foto © Daniel Nartschick

Es war der Sommer, in dem wir im überhitzten Auto über Landstraßen fuhren, zu abgelegenen Kliniken, in denen Professorinnen und Professoren saßen, die renommierte Auszeichnungen erhalten hatten. Ich hatte in diesem Sommer nur einen Dermatologen kennengelernt, der mir auf Anhieb sympathisch gewesen war. Gern hätte ich ihm gesagt, dass er seine Lupe auf dem schweren antiken Schreibtisch liegen lassen sollte. Wie oft hatte ich diese beleuchtete Lupe schon über meinen Armen schweben sehen. An den Beinen beleuchteten sie mich selten, denn die Lupe offenbarte bereits an den Armen das Fluoreszieren. Meine Mutter aber hatte insistiert, bis er sich an mir hinabgebeugt hatte. Ich wollte nicht unter Lupen beleuchtet werden, aber in diesem Sommer fiel mir nichts Besseres ein, als mich immer wieder auf die Rückbank des überhitzten Autos zu zwängen. Ich hoffte, wenn ich mitmachte, ließ man mich bald in Ruhe. Wir fuhren in alle möglichen Landesteile. Mütter und Väter schleppten ihre Kinder in diese Kliniken. Die meisten hatten Neurodermitis oder allergisches Asthma. Aber kaum einem Kind fehlte die Hautfarbe wie mir.

Kathrin Bach

Lebensversicherung

Foto © Julia Vogel

Das Dorf liegt da, wie ich das Kartoffelpüree auf dem Teller anrichte, so, wie es mir meine Mutter vorgemacht hat. Eine große Kelle weiche Masse in die Mitte des Tellers klecksen und mit dem Löffel eine tiefe Kuhle in die Mitte drücken. Danach die braune Sauce hineinschütten und beobachten, wie sie zu einem kleinen See wird. Ein brauner sämiger See, die Ufer aus mürbem Püree. Beides verbindet sich, wenn ich mit dem Löffel hineinfahre und die frisch entstandene Landschaft wieder zerstöre. Ich führe sie in meinen Mund. Sie schmeckt so, wie es in der Küche riecht.

Jelena Kern 

Moleskin

Foto © Max Ernst Stockburger

Jeden Abend, in der Stunde des Übergangs, hängten wir unsere Kleidung, die beim späteren Auslegen keine Wärme vom täglichen Tragen mehr in sich haben durfte, auf Holzbügel. So konnte das Leinen, so konnte der Cord, so konnten die Strümpfe, die Mützen, die Schals, so konnte all das an der Luft im Hof auskühlen. Während sich die Gestalten vom Erlebten erholten, ihre Falten aushingen und ihre Wärme an den Wind abgaben, wuschen wir unsere
Körper in den von blickdichten Planen abgeschirmten Metallbecken in der Nähe des Baumes. Wir standen in der zweiten Gruppe und warteten darauf, dass uns ein kleines Stück Kernseife in die Hand gegeben wurde. In der Wanne wuschen wir, gegen die Regel, den Kopf zuerst. Wir hatten das Gefühl, dass sich dort hinter den Ohren der meiste Bleistaub verhängte. Bleistaub war nichts, das wir mit in die Nacht nehmen wollten. Er machte uns schwer und unsere Träume hart.

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