Die Lesungen, kuratiert von Uta Ackermann und Judith Fritsch, sind seit vier Jahren fester Bestandteil von artspring. Diesmal gibt es an drei Abenden 5 Lesungen von Autor:innen und eine musikalische Komposition.
14 Uhr
Gewölbekeller der ehem. Brauerei Königstadt
Straßburger Straße 53, 10405 Berlin
Alexandra Friedmann
Der Club der Gescheiterten
Leseprobe aus dem Romanmanuskript „Der Club der Gescheiterten“
„Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand wie er jemals auf der Straße landen würde, war so verschwindend gering, dass ihn ein irres Lachen überkam. Er hatte sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf den Bordstein zwischen zwei parkende Autos gesetzt und beobachtete die Szene wie ein absurdes Theaterstück, das nichts mit der Realität zu tun haben konnte. Die beiden Polizeibeamten, ein Mann und eine Frau, beide in etwa so alt wie er, beide groß und sportlich, mit nicht allzu unfreundlichen Gesichtszügen, hatten sich vor dem Eingang des Gebäudes postiert. Jetzt blickten sie alarmiert zu ihm herüber, doch sie verließen ihren Posten nicht. Er hielt sich beide Hände vors Gesicht und lachte. Es war früher Nachmittag, es war Frühling. Die Sonne drängte sich an frühen Knospen vorbei, warf ein tänzelndes Muster auf das Backsteinpflaster vor seinen Füßen. Er hatte keine Augen dafür. Er selbst saß im Schatten eines schwarzen Porsche Cayenne, er trug nichts weiter als einen zweiteiligen Pyjama und Hausschuhe, die Taschen leer.“
Alexandra Friedmann ist 1984 in Gomel, Weißrussland geboren. Ende der 1980er Jahre wanderte ihre Familie nach Deutschland aus. Nach dem Abitur ging sie nach Paris und studierte an der Sorbonne Literatur und Journalismus. Sie lebt heute mit ihrer Familie als freie Journalistin, Übersetzerin und Autorin in Berlin. . | Foto © Swetlana Weingardt
Kathrin Bach
Gips
Leseprobe aus dem Lyrikband „Gips“
morgens, mittags und abends
das hinzufügen, was gebraucht wird
mir selbst eine hand auf die schulter legen
wasser, das sich in der schale sammelt
die ich im sommer auf den tisch gestellt hab
als könnt ich ein paar vögel am leben halten
Kathrin Bach, 1988 in Wiesbaden geboren, studierte Kulturwissenschaften und Literarisches Schreiben in Hildesheim. Mit ihrer Lyrik wurde sie zum 22. open mike eingeladen und erhielt den 2. Preis beim Lyrikpreis München 2014. 2017 erschien ihr Lyrikdebüt „Schwämme“ in der Parasitenpresse [Köln]. Für die Arbeit an ihrem Romanprojekt „Lebensversicherung“ erhielt sie u.a. 2022 das Residenzstipendium für Literatur im Künstlerhaus Lauenburg. Sie lebt als freie Autorin und Lektorin in Berlin, wo sie auch regelmäßig Collagen klebt und Schreibworkshops hält. Im März 2024 erschienen ihr zweiter Lyrikband, „Gips“, Parasitenpresse und das poetisch-poetologische Journal „Sonntagssplitter“ bei etceterapress berlin. | Foto © Julia Vogel
Corinna Kraft
aus dem Romanprojekt „Flecken“
Marie und ich haben nach Luft geschnappt, gekrümmt geprustet, Lachtränen. „Wie in einer Sitcom“, hat M. nach dem Knall gesagt, nachdem wir geguckt haben, ob die Brille noch ganz ist, „einfach Slapstick gegen ein Schild zu laufen.“ Dieses Mal war das Grün in meinem Gesicht unschuldig, wie das von Menschen nach einer Weisheitszahn-OP, eine Anekdote, nicht wie das eine Mal, als J. mehrere Schichten Camouflage-Make-up mit einem feuchten Beautyblender auf meinem Gesicht verteilt hat, als wir versucht haben, zu verstecken, was er mir angetan hat. Wer war ich? Ich, die das mitvertuscht hat. Wer war ich?
Corinna Kraft, geboren 1987 in Kassel, geht in ihrem Romanprojekt „Flecken“ der Frage nach, was Frauen* Gewalt erdulden lässt. Aus Recherchen und ihrer eigenen Erfahrung entwickelt sie die Geschichte zweier Frauen, einer Strafverteidigerin und ihrer Mandantin, die eines Abends aus Angst um ihr eigenes Leben ihren prügelnden Ehemann getötet hat. Corinna arbeitet in Hamburg als Lehrerin und lernt in Berlin das Autorinnenhandwerk. | Foto © Henning Angerer
Judith Fritsch
aus der Kurzgeschichte „Mädchenfresser“
Ganz hoch sind wir jetzt schon geklettert und hören den Vögeln zu. Ich lege meinen Kopf in den Nacken, sehe in die Baumkrone hoch und wiege mich mit den rauschenden Blättern hin und her. Wenn ich ganz genau hinhören würde, könnte ich hören, wie sie flüstern. Wie sie versuchen, um uns zu weinen. Es tut mir leid, Cousine. Dass ich deinen Namen nicht mehr weiß. Dass ich nicht gemerkt habe, dass dein Vater ein Mädchenfresser ist. Wenn ich könnte, würde ich eine Nadel nehmen und versuchen, jeden deiner Hautfetzen wieder zusammenzuflicken. Hundert kleine Nadelstiche auf deiner Haut, die ja doch vergeblich wären.
Judith Fritsch, 2001 in Berlin geboren, hat als Kind in Hörspielen gesprochen und schon früh damit begonnen, eigene Geschichten zu schreiben. Momentan besucht sie Schreibseminare und arbeitet an ihrem ersten Roman. | Foto © Sandra Köpke
Julius Tangerding
Komposition
Der intuitiv-spielerische Umgang mit den Funktionsweisen der musikalischen Strukturen bildet die Grundlage für meine Kompositionen. In jedem Stück will ich eine unbekannte Welt mit eigenen Gesetzen erschaffen, in die der Zuhörer eintauchen kann und so für einen Moment der realen Welt entgleitet.
Julius Tangerding, 2001 in Berlin geboren, spielt seit dem fünften Lebensjahr Klavier und begann schon früh zu improvisieren und komponieren. Später erhielt er auch Theorie und Kompositionsunterricht und Jazz-Unterricht. Seit 2021 studiert er Komposition bei Hanspeter Kyburz an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin. Der intuitiv-spielerische Umgang mit den Funktionsweisen der musikalischen Strukturen bildet die Grundlage für meine Kompositionen. In jedem Stück will ich eine unbekannte Welt mit eigenen Gesetzen erschaffen, in die der Zuhörer eintauchen kann und so für einen Moment der realen Welt entgleitet. | Foto © David Becker
Erez Majerantz
liest Satiren und Kurzgeschichten,
musikalische Begleitung:
Katja Chava Majerantz
Vor Ronnys Augen tanzten schwarze Flecken. Er dachte an all die Texte, die er heute hätte mitgrölen können, mit dem Solisten und den anderen Fans der »Allgemeinen Feindseligkeit«, von denen ihm wahrscheinlich die meisten sehr viel ähnlicher waren als die Soldaten, mit denen er nun schon seit anderthalb Jahren auf diesem lausigen Stützpunkt das Zimmer teilen musste. Er sah, wie sich die Nebelschwaden auf der Bühne verzogen, die Lichter und die Klänge verschwanden und sich in einen reizlosen Kasernenbau verwandelten. (aus der Kurzgeschichte „Allgemeine Feindseligkeit“) | Foto © Ronja Falkenbach
Erez Majerantz, geboren 1980 in Israel, lebt seit 2016 in Berlin. Nach einem Studium der Philosophie und Komparatistik an der Bar-Ilan Universität schrieb er satirische Kolumnen und Sketche für das Radio und moderierte die Sendung “On the edge of the scale”. Vier seiner Theaterstücke wurden in Israel aufgeführt und ins Deutsche übersetzt. 2016 erhielt Erez Majerantz den Kunstpreis für Menschenrechte.
Katja Chava Majerantz, aufgewachsen in Koblenz, studierte Informatik an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 2023 Jahr studiert sie Blockflöte an der Hochschule für Musik Nürnberg und spielt im Berliner Blockflötenorchester.