Wir sehen zu, wie das, was wir aufgebaut haben zerfällt.
Empörung, Ungläubigkeit, Resignation, jetzt-erst-recht- Reflex, Proteste und Demonstrationen und auch ganz viel Verzweiflung: der Reaktionen auf die beschlossenen Sparmaßnahmen in Berlin gibt es viele. Das Festivalthema nimmt Bezug auf die derzeitige Situation der Kulturpolitik in Berlin, die nicht nur Künstler und Künstlerinnen der Hauptstadt als sprichwörtlich [ˈapɡəˌfakt] empfinden, sondern die weit über die Stadtgrenzen hinaus für Verwunderung sorgt. Die vom zuständigen Senator als Schwerindustrie Berlins beschriebene Kunst- und Kulturszene soll jetzt mit gravierenden Einsparungen klarkommen. Im Unterschied zu anderen Schwerindustrien gibt es hier jedoch keine Auffanggesellschaften, Vorruhestände, Abfindungen oder Pläne zur sozialen Absicherung. Diese Kürzungen bedeuten für viele das Aus. Wir sehen zu, wie das, was wir aufgebaut haben zerfällt. Es bröckelt. Es bricht. Es stürzt. Ateliers schließen. Räume werden unbezahlbar. Fördermittel werden gestrichen. Kulturorte schließen ihre Türen. Kürzungen, Streichungen, Absagen. Schneller als neue Anträge geschrieben und an die Situation angepasst, neue Ideen erdacht und nachhaltige Kooperationen gesponnen werden können, verschwinden die Optionen. Mühevoll aufgebaute Netzwerke werden im Eiltempo zerschlagen. Die Kleinsten werden gegeneinander ausgespielt. Und während sich alles im Rekordtempo verändert, stehen wir dazwischen und fragen uns: Ist das noch zu reparieren – oder ist es bereits weg?
Wir wissen ja alle, dass gespart werden muss.
Ein Mantra das in Dauerschleife als Köder geschluckt werden soll und fast nicht mehr infrage gestellt wird. Dabei geht es nicht nur um die Sparvorgaben- und Maßnahmen sondern auch um das WIE. Mit Zuschüssen und Förderungen wird ein Großteil der Künstlerschaft an der kurzen Leine der Abhängigkeit gehalten. Fein domestiziert mit dem Hinweis auf die „Freiwilligkeit“ seitens der staatlichen und kommunalen Institutionen, entfernen sich die Leistungen immer mehr von einem moralischen Muss, zu einer gönnerhaften, spekulativen Kannregelung. Jetzt zeigt sich, dass die Kannregelung ein gutes Mittel zur vollständigen Abwicklung ist. Während sich die Szene mit den geschickt und manipulativ gesetzten Leaks der Kürzungslisten beschäftigte und mit dem Ausrechnen des noch Möglichen Zeit vertrödelte, ist es dem Regierenden Bürgermeister Wegener, Finanzsenator Evers und Kultursenator Chialo gelungen, sich über Wochen hinweg durch ostentative Inkompetenz und Intransparenz aus der Affäre zu ziehen.
Hier wird die fehlende Wertschätzung besonders sichtbar. Und nicht nur das! Die Sparmaßnahmen sind eine Beleidigung für alle! Sie richten sich nicht gegen die Kunst und Kulturschaffenden allein, vielmehr richten sie sich gegen die Gesellschaft. Sie sind unter anderem ein ausgestreckter Mittelfinger in die Schulen dieser Stadt. Dort sitzt die nächste Generation, der man ganz nebenbei die Mündigkeit abspricht, der man die demokratischen und gleichberechtigten Zugänge zu einer vielfältigen Stadtkultur nach und nach entzieht. Nichts gelernt aus der Geschichte!
Die Kunstszene hat sich selbst schon bis zur Erschöpfung ausgebeutet.
Aber nicht nur die provinzielle Politik der Stadt Berlin ist [ˈapɡəˌfakt]. Die Unfähigkeit im ganzen Land in Kunst und Kultur einen Weg zu erkennen, „gesellschaftlichen Zusammenhalt“ herzustellen ist unleugbar. Wir können Einkommensverluste und Etatkürzungen mit Zahlen belegen und das „Ersparte“ schön in Tabellen eintragen, den Schaden, den unsere Gesellschaft nimmt, kann man so aber nicht bemessen. In all dem politischen Kalkül und Machtgerangel haben wir den lachenden Dritten schon lange identifiziert. Und wenn er in die Lage versetzt wird, tatsächlich die Hebel der Macht zu bedienen, dann wird das, was wir gerade erleben, ein nahezu lächerliches, selbstbezogenes Vorspiel gewesen sein.
Es ist nicht so, dass es jemals leicht war. Es ist nicht so, dass es eine Zeit gab, in der es als Kunstschaffende/r sorgenfrei war. Aber es gab eine Zeit, in der die Hürden sich noch wie eine Möglichkeit anfühlten. Jetzt ist es nur noch ein Ringen ums Überleben. Die Kunstszene hat sich selbst schon bis zur Erschöpfung ausgebeutet. Mit jedem Kürzungsbescheid wurde noch härter gearbeitet. Verloren gegangenen Räume wurden durch andere, schlechtere, teurere, temporärere ersetzt, oder eben auch nicht. Es wurde gerettet, geflickt, improvisiert. Und das immer unter Einbeziehung aller üblichen Verdächtigen. Väter, Mütter, Omas, Partner*innen, die Kinder, Freunde und Kollegen. Alle müssen immer mit ran, wenn´s um die Sache geht, das hohe Gut der Kunst!
Einsicht in die Notwendigkeit.
Es ist also eine Frechheit, wenn der Kultursenator auf offener Bühne zur Solidarität aufruft. Hier stellt er den bedauerlichen Zustand Berliner Schulen und den Erhalt von Arbeitsräumen gegeneinander, dort spricht er von einer notwendigen größeren Resilienz* der Szene und weigert sich, sein Resort zu verteidigen. *Resilienz ist eine besondere Kraft der Psyche, Belastungen auszuhalten – eine ausgeprägt lebensmutige Haltung. Ein resilienter Mensch lässt sich von Schicksalsschlägen nicht aus der Bahn werfen, sondern kommt rasch wieder auf die Beine und bewältigt sein Leben wie zuvor.
Genau so leben und arbeiten viele von uns schon immer. Es ist höchste Zeit, Berlin von unten, solidarisch zu organisieren, statt weiter auf eine Interessenvertretung durch Lobbyverbände, Expertinnengremien und mehr oder weniger gewählte Repräsentantinnen zu hoffen. Wo bleibt die Unterstützung derer, die von unserer Arbeit profitieren? Z.B. vom Bundesverband deutscher Galerien und Kunsthändler e.V.? Wie war das mit den Geldern aus Neustart Kultur? „Erst weil man mit diesen Fördergeldern ein Programm entwickeln konnte, seien Galerien trotz Pandemie wirtschaftlich erfolgreich gewesen.“* so der Verbandspräsident Kristian Jarmuschek seinerzeit. Und jetzt? Kein Wort der Empörung, kein Wort der Solidarität und Unterstützung.
Kunstproduktion als Luxus
Es ist eine Halluzination zu glauben die Kürzungen in den verschiedenen Fachbereichen würden sich nicht gegenseitig beeinflussen und die Künstler*innen nicht betreffen. Denn genau dort, in Schulprojekten, der kulturellen Bildung, als freie Mitarbeitende in Pflege und Betreuungsdiensten schaffen sie das Geld heran, um sich die Atelierarbeit leisten zu können. Es sind eben auch diese Einkommens- und Arbeitsmöglichkeiten speziell der Künstler*innen der freien Szene die verloren gehen. Kunst ist frei, das wird ihr hier zum Verhängnis. Sie lebt in Projekten, Werken, Saisons und Strömungen, und all das hat in den Haushaltstiteln der Stadt die Eigenschaft, dass keine langfristigen Bindungen bestehen. Also kann es weg, nicht etwa, weil das klug ist, sondern einfach, weil es geht.
Kunst ist frei, das wird ihr doppelt zum Verhängnis: Die Künstler*innen sind freischaffend auf einem durchweg prekären Niveau. Soziale Absicherung? Kündigungsfristen? Abfindungen? Alles Geld, was jetzt fehlt, fehlt auch später in der Rente. Honorar, das in diesem Jahr nicht fließt, bedeutet: freier Fall ins Bürgergeld. Die Künstlersozialkasse zählte im letzten Jahr bereits 5% weniger Bildende Künstler*innen in Berlin.
Malen wir das Schreckgespenst ruhig an die Wand: Die beschlossenen Einsparungen gelten für 2025 und unverhohlen schallt die Drohung des Regierenden Bürgermeisters “Das war erst der Anfang.“ So stellt sich die Frage: Machen wir weiter, als wäre nichts geschehen? Werden wir zum Sachverwalter der Abwicklung 2026/27 ff.? Oder überlegen wir nochmal: Wem gehört die Stadt? Werden wir widerstandsfähiger, nicht gegen die Sparmaßnahmen, sondern vor allem gegen die, die sie beschließen!