. . . »der mythos ist hin«

ist ein Zitat aus einem Film über den Prenzlauer Berg in der Umbruchszeit 1990. Der Film flaniert mit seinen Protagonist:innen, ohne zu kommentieren.

Und so wollen auch wir in diesem Jahr mit den unterschiedlichen Akteur:innen »Begegnungen zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juli« geschehen lassen, die den Begriff des Mythos befragen, feiern, ermöglichen oder beschädigen. Welchen Mythos eigentlich?

Den des Prenzlauer Berges? Von Pankow? Der Stadt Berlin? Der Künstlerin / des Künstlers als Person oder Vorkommnis? Wo ist euer Arkadien? Die politischen Ereignisse der letzten Wochen haben weitere Fragen nach Mythen und gebrochenen Mythen aufgeworfen, die ebenfalls kommentiert werden können.

Der besagte Film wird auch Teil des Filmprogramms artspringnale sein – an vier Freitagen zeigen wir eine von der Filmwissenschaftlerin Antje Materna kuratierte Kinoreihe, open air, mit Kneipenanschluss und abschließendem Gespräch mit Filmschaffenden, in der sich ebenfalls beinahe alles um den Mythos als Mythos drehen wird.

artspring berlin wurde 2017 gegründet vor dem Hintergrund der drohenden Verdrängung der Bildenden Künstleri:nnen aus dem Stadtbezirk, da Arbeits- und Ausstellungsmöglichkeiten zunehmend der Immobilienspekulation zum Opfer fielen und auch nach wie vor fallen. Somit spielt das Thema des Mythos immer mit: Hat der Mythos des Prenzlauer Berges / von Pankow sich selbst beschädigt? Können sich Künstler:innen auf ihrem Mythos ausruhen? Sind Mythen Gerüchte, sind es Überlieferungen, sind es Interpretationen? Ist mein Mythos auch dein Mythos?

Wir haben das Thema des Mythos aufgeworfen, und die Pankower Kulturszene hat darauf geant­­wortet. Sie finden den Begriff quer durch alle Atelierbeschreibungen und auch in zahlreichen Veranstaltungsbeiträgen. Sogar das Programm des Theaters unterm Dach hat Passendes im Angebot. Wir freuen uns also auf ein breites Panorama rund um den Mythos oder die Mythen – griechische Götter sind im Angebot, Filmstars und Legenden und immer wieder die Selbstbefragungen der Kunstschaffenden. Der Mythos des Künstlers / der Künst­lerin alleine hat viele Aspekte.

Da wäre zum Beispiel die Frage nach dem Genie, nach der Schaffenskraft, nach einem göttlichen Funken, nach einer außerordentlichen Empfindsamkeit – oder gar nach der Grenze zum Wahn? Und wie verträgt sich dieser Künstler:innenmythos mit der realen Kunstwelt, mit dem Filter des Ausgewähltwerdens, und mit den frustrierenden wirtschaftlichen Realitäten? Muss der Poet arm sein, ist die Dachkammer das natürliche Refu­gium der kunstschaffenden Person? Welche Rolle spielen die Erzeuger:innen der zeitgenössischen Kunst im Stadtgeschehen?

Kann man sich die Entwicklung Berlins vom heruntergekommenen Nachwende – Freiraumzum hochpreisigen Immobilienmarkt ohne den Mythos der florierenden Kunstszene vorstellen? Und welchen Wert hat dieser Mythos? Insbesondere für diejenigen, die ihn mitverursacht haben?

Das Berliner Institut für Strategieentwicklung führte 2018 eine repräsentative Umfrage unter den Berliner Kunstschaffenden durch: »Studio III – Situation Berliner Künstler:innen und Gender Gap«. Berlin ist demnach nach New York der wichtigste Produktionsstandort für Gegenwartskunst. Die Studie zeigt auf, unter welchen Bedingungen die Künstler:innen in Berlin leben und kommt zu folgender Beobachtung:

»Die Einkünfte aus der künstlerischen Arbeit haben im Jahr 2017 nur bei 20% die Ausgaben für diese Arbeit voll und ganz gedeckt. Für alle anderen ist ihre künstlerische Arbeit ein Verlustgeschäft. Die Einkünfte aus der künstlerischen Arbeit decken die Ausgaben für diese Arbeit im Durchschnitt zu lediglich 44%. Die wirtschaftlich unsichere Lage bekommen besonders die Frauen zu spüren. Sie verdienen noch weniger als die Männer.«

Wer sich einlesen möchte, kann in den Publikationen des Instituts eine Menge weiterer ernüch­ternder Zahlen lesen. Zum Beispiel darüber, welche Einkünfte tatsächlich erzielt werden bei denjenigen, die ihre Unkosten decken können.

Ein statistisches Durchschnittseinkommen ist da nur selten vorhanden – und damit auch die Möglichkeit, die Folgen des wirtschaftlichen Wachstums Berlins mitzutragen. Wer sich in den Straßen umguckt und die Offräume vermisst, für die insbesondere der Prenzlauer Berg einmal bekannt war – nun, daran liegt‘s. Auch.

Zur Idee artspring gehört auch die Vision, dass die sich entwickelnden Nachbarschaften auch die ansässigen Künstlerinnen und Künstler mittragen können – wenn man sich kennt. Hierzu noch ein Zitat aus oben genannter Studie: »Beim Verkauf der Kunstwerke spielen die Selbst­ver­marktung aus dem Atelier und der Verkauf an eigene Sammler:innen mit 40% die größte Rolle«. Dies also als Aufforderung, die Künstler:innen im Bezirk nicht nur zu besuchen, sondern auch zu sammeln.

artspring legt dazu viele Fährten.

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