»Der Mythos ist hin«

Das diesjährige Filmfestival ist kuratiert von Antje Materna und wird in Kooperation mit dem hit ‘n run kino veranstaltet.

Filmfestival
Der Mythos ist hin. Aber ist er das wirklich? Und welcher Mythos ist hier gemeint? Ist es der Mythos des Künstlers, der Künstlerin oder der des Filmemachens? Ein Freiraum, der einst dazu diente, Fiktion darzustellen und neue, eigene Realitäten zu schaffen, scheint heute zwischen den Polen von Systemrelevanz und Prekariat zu zerreiben. Oder handelt es sich um den Mythos des Prenzlauer Bergs, der als Chiffre für ein ganz bestimmtes Lebensgefühl stand? Ein Mythos, der einen Bezirk der Unangepassten, der Unordnung und der Subversion repräsentiert, aber auch Solidarität und Widerstand in einer reglementierten Wendezeit, als alles möglich schien. Dieser Mythos mag verloren scheinen, doch er lebt in den Erinnerungen fort. Er ist zu einem Korrektiv geworden, das die Bewertung des Viertels heute beeinflusst. Ein Mythos bleibt eine zeitlose Leinwand für Wünsche, Hoffnungen und Utopien.

SCREENINGS

Wo stehen wir und woran glauben wir? Was ist richtig und was ist falsch? Welche Geschichten und Bilder berühren die Menschen, vermitteln zwischen den Gegensätzen und schaffen Übergänge? Kann darin Integrationskraft liegen? Oder müssen wir die Komplexität erhöhen, alte Mythen dekonstruieren und neue erschaffen? Wie verhandeln verschiedene Generationen die Vergangenheit und wie lassen sich Erinnerungen pluralisieren? Was bedeutet das für uns, unsere Gegenwart und Zukunft? Fragen, mit denen wir zur Einsendung von Film und Videobeiträgen aufgerufen haben, die den Begriff des Mythos aus so vielen Perspektiven wie nur möglich erkunden.

»HIT‘N RUN KINO«

Seit 15 Jahren bespielt das »hit ‘n run kino« neue und extra dafür ausgesuchte Orte, die mit den gezeigten Filmen interagieren, und der Sanierung Berlins bis jetzt trotzen. Mittlerweile wird der Liste mit Orten, an denen »hit ‘n run kino« ein letztes Mal die kurz vor dem Abriss stehenden »Bühnen« bespielen durfte, immer länger, aber wir sind noch nicht am Ende!

FILMFESTIVAL: PROGRAMM

Die Einreichungen und die daraus kuratierten Programme zeichnen das Bild einer fragmentierten, brüchigen und fragilen Gegenwart. Wir sehen innerlich zerrissene Held:innen, blicken auf blinde Flecken, in denen (scheinbar) etablierte Normen und Werte verschwimmen und müssen uns letztendlich selbst fragen, wo wir die Grenzen zwischen Wahrheit, Fiktion und Gerechtigkeit ziehen

Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine dauert am 24. März 2022 bereits einen Monat. Zehn Ukrainische und zehn Berliner Schauspieler:innen treffen sich per Zoom um gemeinsam zu arbeiten. Als Basis dient eine Szene aus dem poetischen ukrainischen Theaterstück »Waldlied«, geschrieben 1906 von der Autorin Lesya Ukrainka. Konzentriert auf die jeweiligen Partner:innen entwickelt »Lean On Me« eine Sogkraft, in der die Aktualität des Kriegsgeschehens permanent zu spüren ist. Gleichzeitig ist es ein zugewandtes Treffen auf Augenhöhe, von Schauspieler:innen zu Schauspieler:innen. Abb.: Summer Banks und Evgen Bondarskyy | Foto: Amor Schumacher

Produzentinnen: Serafima Brig, Daryna Kapusta, Sonja Ortiz, Amor Schumacher, Regie: Amor Schumacher // deutsch-ukrainische Koproduktion // 2022 // 4:45 min // ukrainisch/englisch/deutsch

Berlin 6121 Filmfestival

Sich an den Bau der Mauer zu erinnern, bedeutet auch, sich an das Ende eines »Mythos« zu erinnern. Ein Mythos, der mit der Teilung starb. Ein Mythos, der mit einer Mauer starb, die nur fallen konnte. Der Mythos ist hin. Fragmente einer Fahrradtour im Jahr 2021 entlang des Mauerwegs. So brüchig zusammengeschnitten, wie die Berliner Mauer aktuell in der Stadt zersplittert ist. Musik, die wiederholend lückenhafte Erinnerungen an eine verstorbene Mythologie erweckt. Foto: Gabriele Avanzinelli, Gianmarco Caselli

Kamera/Schnitt: Gabriele Avanzinelli, Musik: Gianmarco Caselli // 2021 // 5:14 min. // ohne Sprache

The documentary reveals a political failure through individual biographies. It depicts the fates of a few of countless Vietnamese veterans who have been victims of Agent Orange. Due to exposure to dioxin-based herbicide Agent Orange used during the Vietnam War, veterans brought home a change in their DNA. This change having been passed down through the generations, their children are still suffering from incurable illnesses and debilitating deformity today. Foto: Matthias Leupold

Regie: Matthias Leupold // 2015 // 72 min. // vietnamesisch/englisch mit englischen Untertiteln

BEN Filmfestival

About running, about being behind, about big moments, about daily life … 1988 sitze ich 4 Uhr morgens als kleiner Junge gebannt vor dem Fernseher. Es läuft die Übertragung des 100-Meter-Laufs der Männer der Olympischen Spiele in Seoul. Wochenlang war das Duell der beiden aussichtsreichsten Sprinter, Carl Lewis gegen seinen Herausforderer Ben Johnson, medial angeheizt worden und in weniger als 10 Sekunden sollte alles schon wieder vorbei sein. Einen Tag später verbreiten die Medien dann: BEN war gedopt (und wie wir heute wissen so gut wie alle Teilnehmer des Laufs). Er hatte betrogen – und nicht nur die Sportwelt, sondern auch irgendwie mich. Foto: mobtik

Regie/Konzept: Kuesti Fraun, Andreas Uehlein // 2012 // 1 min. // englisch

»M.e« is based on the poem »Monster und Mädchen« by Nora Gomringer and asks the question of the definable gender identity of women. The cruelty with which we submit to social norms and only live as alienated bodies contrasts our feelings with this appropriation. The recurring question about the »I« ultimately remains unanswered, alone and isolated, as a justification in front of a male observer. A surrender? Or a strategy of survival? Foto: Joanna Maxellon

Regie/Konzept: Joanna Maxellon, Nora Gomringer // 2021 // 6 min. // deutsch mit englischen Untertiteln

The video shows how gender-diverse people feel and how they are being discriminated while using the binary public toilets. It was made with a fake documentary format interviewing gender-diverse people. All the interviewing people are digitally generated, but the actual interview datas are all from our actual world. Foto: Jae-Nder Fluid

Regie/Konzept: Jae-Nder Fluid // 2021 // 4:48 min. // englisch

Based on an imaginative conversation the film is revealing different aspects of the complex relation between Hannah Arendt and Martin Heidegger – two very important thinkers who represent politically contradicted views but at the same time had a strong personal connection. The virtual audience follows 3D avatars in different environments. Based both on existing theoretical and invented text, the work constructs an imaginative journey, in between truth and fiction. Foto: Sharon Paz

Regie/Konzept: Sharon Paz // 2021 // 26 min. // englisch

Ein experimenteller, animierter Kurzfilm, der den »geteilten« Körper und das Gespaltensein in Zeiten des Lockdowns einfängt. Die Geschichte der Berliner Mauer wird mit einem schwarzen Faden aufgerollt, der die ehemalige Grenze nachzeichnet. Der Kurzfilm setzt das geschichtliche Ereignis und den Mythos der Berliner Mauer vor dem Hintergrund des Lockdowns in einen neuen Kontext. Doppelt belichtete Bilder werden auf der Berliner Mauer zu Street Art und bringen das körperliche Empfinden jener Grenzerfahrung zum Ausdruck. Foto: Vanessa Cardui Filmfestival

Konzept/Animation: Vanessa Cardui // 2021 // 2:11 min. // ohne Sprache

When did the ongoing history of brutality against other creatures, species and ethnicities start? How many people died without a name? Why has a herd of elephants appeared in Chelsea? Through telling the story of her visit to London, Hyejeong explores the ongoing cruelty in humankind, Sir Hans Sloanes British Museum, Benin Bronze and the empty elephant cage. Foto: Hyejeong Yun Filmfestival

 Regie/Konzept: Hyejeong Yun // 2022 // 18:57 min. // koreanisch/englisch mit englischen Untertiteln

Die Krake und die Kunst Filmfestival

Gezielt versuchte das MfS autonome Künstlerkreise in der DDR zu unterwandern. Denn sie lebten in ihren Werken Individualität vor und stifteten Diskussionen an. Das war inakzeptabel für die allmächtig regierende SED. Der Film zeigt ironisch vier Wege auf, die Stasiunterwanderung der Künstlerszene aufzuarbeiten: 1. laut, 2. kreativ, 3. gar nicht, 4. sachlich. Ergebnis ist ein filmisches Essay, in dem unterschiedliche Künstler:innen zu Wort kommen. Anlass des Beitrags für die 3Sat-Sendereihe Kulturzeit waren 1994 die ersten Aktenfunde, die belegten, dass der »Dichterfürst« Sascha Anderson im Prenzlauer Berg nicht als unabhängiger Subkulturmotor, sondern als Stasi-Rad im Kunst-Getriebe aktiv war – ein »Schock« und die »Aufkündigung einer ethischen Zeitgenossenschaft«, kommentierte der Lyriker Uwe Kolbe. Foto: 3sat

Regie: Holger Kulick, Kamera: Rainer Jonas, Axel Reinhardt // 1994 // 14:22 min. // deutsch

30 Jahre nach der Friedlichen Revolution von 1989 begeben sich Jugendliche aus Frankfurt (Oder) auf eine spannende Spurensuche. Dabei treffen sie auf Welten, die zuvor unvereinbar schienen. Die Zeitzeug:innen, die sie befragen, standen einst in konträren Positionen. Während einige von ihnen unermüdlich für die Stasi tätig waren, erzählen andere lebhaft von ihren Protesten vor der Telefonzentrale von »Horch und Guck«, bei denen sie das Lied »So ein schöner Tag wie heute« anstimmten. Wiederum andere trafen sich bei Tassen Kaffee mit der Führungsebene der Frankfurter Stasi, um Akteneinsicht zu verhandeln, während zur gleichen Zeit Tausende Dokumente vernichtet wurden. Auf ihrer Reise zurück in die Vergangenheit stellen sich die Jugendlichen die bedeutungsvolle Frage, wie es schließlich möglich war, dass all diese Gegensätze friedlich miteinander endeten. Dabei erfahren sie, dass die damalige Zeit offensichtlich eine viel tiefere Verbindung zu ihnen hat, als sie ursprünglich dachten. Foto: Johanna Pohland Filmfestival

Regie/Buch: Johanna Pohland, Gudrun Herrbold // 2020/21 // 82 min. // deutsch

Against the backdrop of Berlin’s ongoing transformation and its aggressive real estate market, this film takes up the language of sales brochures and real estate advertisements, which are primarily aimed at investors and future buyers. Its terminology and tone express the growing commodification of living. Topics such as »urban nomads«, »bohemians« or »urban gardening« derived from discourses on alternative forms of living, have long since been appropriated as sales arguments. Foto: Guerilla Architects, Philine Schneider

Regie/Konzept: Guerilla Architects, Philine Schneider, Performance: Alicia Agustín // 2019 // 18:23 min. // deutsch mit englischen Untertiteln

Graupels is a series of video works that explore, in both text and visual form, some recent news connected to the Beijing 2022 Winter Olympics. More precisely, they focus on how Chinese weather has been controlled and altered by the Beijing Weather Modification Office. From washing away the smog from the sky to affecting natural rainfall patterns, the Office has been particularly occupied in assuring that Yanqing had enough snow for alpine skiing – despite the city tight supplies of water and shortages. Foto: Tingwei Li Filmfestival

Regie/Konzept: Tingwei Li // 2022 // 3:38 min. // ohne Sprache

Barcelona Filmfestival

Der experimentelle Kurzfilm ist Teil der Kunstserie »Copy|Sample|Remix« zugunde. Beeinflusst durch das philosophische Werk von Gilles Deleuze, setzt sie sich in unterschiedlichen Medien mit dem Thema des Kopierens und der Wiederholung auseinandersetzt. Hier sind es schnell hintereinander geschnittene Instagram-Bilder von derselben Stelle in Barcelona. Die Musik ist ein entfremdetes Sample von Daft Punks »Around The World«. Ein Sinnbild für den schnelllebigen Massentourismus und den zerstörten Mythos des literarischen Reisens. Foto: Oliver Orthuber Filmfestival

Regie/Konzept: Oliver Orthuber // 2021 // 1:11 min. // ohne Sprache

Bedeutung – lost in transmissions
… geht verloren, wird verzerrt, wird verändert – unabsichtlich, absichtlich.
• You never know exactly ob und warum.
Re-running the same transmission – bis man sie nicht mehr hören kann, will – bis sie inhaltlos und unverstanden
verhallt
zwischenmenschliches Bedeutungschaos als Stand-in für ein uraltes, aktuelles Problem
– das ist: transmissions [3569-16117-1 through 3569-22115-2]
Foto: Julien van Grey

Regie/Konzept: Julien van Grey // 2022 // 16:12 min. // englisch

HAZE CITY nimmt Bezug auf die aktuelle Diskussion zum Klimawandel und wirft die Frage auf, inwieweit es legitim ist, Gewalt anzuwenden, um eine notwendige Veränderung zu erzwingen. Der Film spielt im Jahr 2027. Hier übernimmt die Heldin Leocadia Haze die Rolle einer Anwältin und vertritt die Aktivisten vor Gericht. Sie steht hinter den Forderungen nach einem Grundrecht auf eine intakte Umwelt, jedoch erkennt sie auch das Dilemma, das bereits die 68er-Bewegung mit der Radikalisierung der RAF durchlebt hat. Doch wie lässt sich sicherstellen, dass der Mythos von der Rettung unserer Welt erhalten bleibt? Foto: Nina E. Schönefeld Filmfestival

Regie: Nina E. Schönefeld // 2021 // 32:57 min. // englisch mit deutschen Untertiteln

Der Open Call für die Teilnahme am artspring Filmfestival wird jährlich ausgeschrieben.

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